Die Genossenschaft entdecken! Folge 1
Um meine Vorurteile loszuwerden, ziehe ich zuallererst ein Fachbuch zu Rate.
Meine Aufgabe: die genossenschaftlichen Werte begreifen.
Schließlich muss es sie geben und – falls ja – sind sie irgendwo niedergeschrieben.
Da werde ich sie finden.
Dazu setze ich meine besonders andächtige Miene für feierliche Anlässe auf und bereite mich auf eine ebenso lange wie mühevolle Suche vor.
Nicht doch, da sind sie schon, nach wenigen Seiten: genossenschaftliche Werte und Grundsätze.
Tatsächlich, die legen Wert darauf.
Eigentlich weiß ich auch nicht, was ich mir erwartet hatte … auf jeden Fall bin ich beeindruckt.
Echt berührt.
Ich gebe sie nachstehend vollinhaltlich wieder, sowas kann man nicht abkürzen.
Die genossenschaftlichen Werte:
- freier und freiwilliger Beitritt (Offene-Tür-Grundsatz)
- demokratisch durch die Mitglieder ausgeübte Kontrolle (ein Mitglied, eine Stimme)
- Gegenseitigkeit
- keine Spekulation
- generationenübergreifende Solidarität
- nach außen gerichtete Gegenseitigkeit
- genossenschaftliche Bildung und Verwurzelung im Einzugsgebiet
Sieben Stück insgesamt, eine bedeutungsschwere Zahl.
Wesen und Aufbau bestehen aus Werten, die auch für mich zählen: Gleichheit, Demokratie, Zusammenarbeit und Solidarität, Gastfreundschaft, Selbständigkeit, Eigenverantwortung.
Vor meinem geistigen Auge entsteht ein Bild mit einem gegenständlichen, formbaren Organismus, keineswegs starr, doch gleichzeitig von innen heraus stabil. Ich stelle mir einen festen Kern vor, der jedoch atmet, sich mit seiner Umgebung austauscht, zum Ausgangspunkt zurückkehrt und wieder von vorne beginnt.
Klammer zu.
Ich schaue wieder auf das Verzeichnis und konzentriere mich auf den ersten Punkt. Der Offene-Tür-Grundsatz, weshalb? In der Tat ist es gar nicht so einfach, in ein Unternehmen aufgenommen zu werden, nur weil man darum bittet. Bei einer Genossenschaft reicht es, die Aufnahme zu beantragen und schon ist es möglich, alle mit der Mitgliedschaft verbundenen Vorteile in Anspruch zu nehmen. Klar, wenn zum Beispiel ein Goldschmied um Aufnahme in einer Genossenschaft ersucht, die Backwaren herstellt, könnte es zu Schwierigkeiten kommen. Zumindest würde der Antrag einigermaßen misstrauisch geprüft. Allerdings würde ich mich auch fragen: warum suchst du dir als Goldschmied nicht eine Goldschmiedegenossenschaft?
Das ist der Grundsatz für die sogenannten Produktionsgenossenschaften.
Wer in einer Genossenschaft Mitglied werden möchte, die in einem bestimmten Bereich tätig ist, muss auch in der Lage sein, den entsprechend dafür erforderlichen Beruf auszuüben.
Produktionsgenossenschaften sind nur ein Genossenschaftstyp, weiters gibt es Verbraucher- und Nutzer-, Dienstleistungsgenossenschaften, Genossenschaften, die landwirtschaftliche Erzeugnisse verarbeiten und noch viele mehr.
Die Mitglieder werden vertreten, gefördert und geschützt. Man hilft sich gegenseitig, damit sich alle im jeweiligen beruflichen Umfeld verwirklichen und ein angemessenes Einkommen erwirtschaften können. Kurz und gut, man setzt aufs Beste. Eine/r für alle, alle für eine/n.
Ich fühle, wie sich irgendwas in meinem Inneren regt, aber ich weiß nicht genau, was vor sich geht. Immerhin, sicher freut es mich, von bestimmten Dingen lesen zu können.
Dabei hatte ich so angefangen.
Ich klappe das Buch zu, schließe die Augen und denke nach.
Bis nächste Woche.