Die Genossenschaft entdecken! Folge 5
Mittlerweile sind wir beim fünften genossenschaftlichen Grundsatz: der generationenübergreifenden Solidarität.
Beim Lesen stolpere ich über den Begriff generationenübergreifend. Warum sollte es notwendig sein, so etwas gesondert hervorzuheben?
Meinen jüngsten Entdeckungen zufolge wäre ich geneigt anzunehmen, dass dieses Detail auf eine Besonderheit verweist, die Genossenschaften von anderen, herkömmlicheren Unternehmen unterscheidet.
Das Beiwort generationenübergreifend klingt irgendwie vertraut, lässt auf Beziehungen zwischen unterschiedlichen Generationen schließen, lenkt meine Gedanken auf Großeltern, Enkelkinder, auf Geselligkeit.
Ich lasse diese Bilder auf mich einwirken und gelange paradoxerweise zur Kernfrage. Was bedeutet generationenübergreifende Solidarität für eine Genossenschaft?
Das Paradoxon besteht im Umstand, dass Genossenschaften doch keine Familienbetriebe sind.
Genossenschaften knüpfen Familienbande mit Außenstehenden. Nicht mit Bluts-, dafür aber mit Seelenverwandten.
Es gibt wunderschöne Familienbetriebe, in denen die Nachkommen mit derselben Leidenschaft wie ihre Eltern und Großeltern tätig sind. Die Früchte derartiger Unternehmen sind eine wahre Pracht.
Leider sieht’s nicht immer so aus.
Es gibt auch vorbildliche Unternehmer*innen, die nach einem hingebungsvollen und aufopfernden Arbeitsleben mitansehen müssen, wie ihr ‚Geschöpf‘, das dafür gedacht war, der Nachkommenschaft den Weg in die Zukunft zu ebnen, von eben diesen Erben für so viele Silberlinge wie möglich an Außenstehende verscherbelt wird. Nicht selten kommt es auch zu mehr oder weniger offenem Zwang, wenn etwa die außerwählten Erben lieber ihrer natürlichen Veranlagung folgen würden, sie aber die Umstände in der Familie daran hindern. Weiters gibt es Nachkommen, die auf ihr Geburtsrecht pochen und im Familienunternehmen die Zügel in die Hand nehmen, aber dazu ganz offensichtlich nicht fähig sind.
Solche Fälle machen mir klar, wie wertvoll in Wirklichkeit Genossenschaften da sind.
Da sie keine Spekulation zulässt, um den satzungsgemäßen wechselseitigen Austausch zu gewährleisten, bleibt eine Genossenschaft langfristig stabiler als ein auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen.
Da im Idealfall kein Gewinninteresse besteht und das Kapital unteilbar ist, konzentrieren sich Genossenschaften auf unternehmerische Tätigkeiten an sich, als Reaktion auf vom jeweiligen Gemeinwesen zum Ausdruck gebrachten Bedarf, sichern ihr Überleben und ihre Langlebigkeit.
Ganz banal: nehmen wir an, du bist Mitglied in einer Genossenschaft, die deinen Bedürfnissen entspricht. Zum Beispiel sucht sie nach Arbeit für dich, möglichst nicht allzuweit von deinem Wohnort entfernt. Diese Arbeit steht in Zusammenhang mit dem im Einzugsgebiet ermittelten Bedarf. Folglich werden sowohl die Genossenschaft wie auch du selbst daran interessiert sein, die Umstände aufrecht zu erhalten, die es dir gestatten, zu arbeiten sowie der Genossenschaft ermöglichen, dir Arbeit zu geben und den Bedarf im Einzugsgebiet abzudecken.
Eine klare Win-win-Situation.
Als ob die Genossenschaft mir zu sagen versucht: Ich möchte zu deinem Alltag gehören, dich durch Raum und Zeit begleiten. Ich werde dich nicht zurücklassen, sondern mich wennschon neuen Umständen anpassen, neue Dienstleistungen oder Güter anbieten.
Die Beziehung erneuert sich ständig, obwohl die Grundlagen unverändert bleiben. Informationen und Kenntnisse werden den Mitgliedern von Generation zu Generation weitergegeben.
Alles in allem ist es vielleicht doch nicht so weit hergeholt, den Begriff generationenübergreifend genauer festlegen zu wollen.