Entdecke die Genossenschaft! Folge 2
Sowie ich die Augen wieder öffne, fällt mein Blick auf den zweiten Grundsatz: ein Mitglied, eine Stimme.
Vor meinem geistigen Auge entstehen zwei Bilder. Das erste ist sehr konkret und zeigt eine Guillotine. Das zweite verweist in eher abstrakter Form auf die Werte, die wir in Folge 1 entdeckt haben, insbesondere auf einen genossenschaftlichen Grundwert, Demokratie.
Beim Grundsatz ein Mitglied, eine Stimme denke ich an einvernehmliche Entscheidungsfindung, an Menschen, die sich gegenseitig als gleichwertig wahrnehmen. Schlicht und einfach weil es sie gibt und sie auf gemeinsamer Grundlage tätig sind.
Würde ich schon aus Überzeugung als selbstverständlich voraussetzen.
Nur, hier reden wir von unternehmerischem Umfeld.
„Aber nein“, wirst du einwenden, „wir reden von Genossenschaft!“
„Warum?“ entgegne ich, „wie würdest du wirtschaftliche Tätigkeiten nennen, die professionell Güter tauschen oder Dienstleistungen erbringen?”
Eine Genossenschaft ist in jeder Hinsicht ein Unternehmen.
Jedoch ist deine Verwunderung durchaus gerechtfertigt.
Gerade im demokratischen Grundsatz, der den Begriff ein Mitglied, eine Stimme einschließt, zeigt sich der Unterschied zwischen Genossenschaften und herkömmlichen Unternehmen.
Wie uns allen bestens bekannt ist, entscheidet in herkömmlichen Unternehmen, wer mehr investiert, mehr zur Kapitalbildung beigetragen hat.
In einer Genossenschaft läuft das anders. Ob du nun 25 oder 500 Euro eingezahlt hast, bei Entscheidungen zählt deine Stimme genauso viel wie die aller anderen.
An dieser Stelle schiebt sich das Bild mit der Guillotine ein.
In der Tat ist die Meinung weit verbreitet, dass genau dieses Stimmrecht für alle Mitglieder das Todesurteil für eine Genossenschaft bedeuten würde. Das Mitspracherecht für alle würde den unternehmerischen Rhythmus verlangsamen, Wachstum verhindern.
Freilich ist auch die wirtschaftliche Fachliteratur in diesem Punkt geteilter Meinung. Dazu kommt, dass wer genossenschaftliche Leistungen abschlägig bewertet, in der Regel Gewinnspannen als Maßstab anlegt.
Bloß, eine Genossenschaft entsteht nicht, um Gewinn zu erwirtschaften. Menschen gründen eine Genossenschaft, treten ihr bei und leisten ihren Beitrag, weil sie ihre und die Lebensbedingungen anderer verbessern wollen, nicht um investiertes Kapital zu vermehren. Sie suchen nach gemeinsamen Lösungen für ein gemeinsames Problem.
Die erste Genossenschaft entstand im Jahr 1844 in der englischen Stadt Rochdale. Einfache Arbeiter schlossen sich zu einer Gruppe zusammen, um ihren Mitgliedern Bedarfsgüter zu erschwinglichen Preisen zu verkaufen. Tatsächlich gibt es diese Unternehmensform nach wie vor als Konsumgenossenschaft.
Menschen, die als Gruppe vorgehen, weil sie wollen, dass es ihnen und anderen um sie herum besser geht, entwickeln in meiner Vorstellung mehr Schwung alles andere.
Schwungvoll.
Wunderschön.
Ein Tanz.