Hundert Forscher – Tausend Teilnehmer – Ein Thema
Auf diese drei einfachen Zahlen könnte man die internationale genossenschaftswissenschaftliche Tagung reduzieren, die kürzlich in Luzern stattgefunden hat.
Diese in Fachkreisen mit “IGT“ abgekürzte Veranstaltung wird in mehrjährigen Abständen von einer Arbeitsgemeinschaft von Universitätsinstituten organisiert, die genossenschaftliche Forschung betreiben. Bei der diesjährigen, achtzehnten IGT sind Wissenschaftler aus 21 Ländern zusammengekommen. Auch SOPHIA, die Bozner Genossenschaft für soziale Innovation und Forschung, hat einen Referenten entsandt, der dann allerdings der einzige aktive Vertreter aus Italien geblieben ist. Aber zum Trost für die geringe italienische Präsenz sei angemerkt, dass auch China, Thailand und Indien nur mit einer Person in Luzern vertreten waren, während Albanien, Neuseeland und Brasilien mit mehrköpfigen Vertretungen über das Tagungsthema debattiert haben.
Alle Vorträge, Forschungs- und Erfahrungsberichte haben die Problematik “Genossenschaftliche Identität und Wachstum“ behandelt. Dabei hat sich einmal mehr erwiesen, dass Südtirol ein gutes Spiegelbild der aktuellen Entwicklung im Genossenschaftswesen ist. Unser Land liegt bekanntlich an der Schnittstelle zweier Kulturen. Auf der einen Seite steht das Modell der “deutschen“ Genossenschaften, in denen sich Mitglieder zusammenschließen, um ohne private Spekulation und im Sinne der Selbsthilfe gemeinsam wirtschaftliche Leistungen zu erbringen, zum Beispiel in der Landwirtschaft, im Kreditwesen oder in der Energieversorgung. Auf der anderen Seite übernehmen hierzulande zahlreiche genossenschaftliche Unternehmen auch eine zusätzliche, soziale Aufgabe, die in der italienischen Verfassung ausdrücklich vorgesehen ist und stets neue Herausforderungen mit sich bringt.
Daher sind Genossenschaften in Südtirol mit denselben Entwicklungen und Problemen konfrontiert, die bei der IGT Forschungsergebnisse und Erfahrungsberichte präsentiert worden sind. Das sind einerseits die Auswirkungen der Krise und des sozialen Wandels, andererseits die wirtschaftlichen Zwänge und die Suche nach der idealen Betriebsdimension. Auch bei uns geht mit betrieblichem Wachstum meist eine Schwächung der Beziehung zwischen Mitglied und Genossenschaft einher, man wird zum einfachen Kunden der Raiffeisenkasse oder der Konsumgenossenschaft und schaut vielleicht nicht einmal mehr bei der jährlichen Mitgliederversammlung vorbei. Die Anstrengungen unserer Kooperativen, betriebswirtschaftlich effizient zu sein, bringen den Einsatz moderner Technologien und sozialer Kommunikationsnetzwerke mit sich, aber im Gegenzug leiden die persönlichen Kontakte unter den Mitgliedern und mit der Zeit könnte die Differenzierung als Genossenschaft untergehen und die Kenntnis des genossenschaftlichen Auftrages gänzlich verloren gehen.
“Identität und Wachstum“ in Einklang zu bringen, im Wettbewerb mithalten zu können und trotzdem die mitgliederbezogene Identität zu bewahren, das sind die Herausforderungen, denen sich die 170 Jahre alte Genossenschaftsbewegung stellen muss, um zu Beginn des dritten Jahrtausends mithalten zu können. Das italienische Genossenschaftswesen weist im internationalen Vergleich ein beachtliches Innovationspotential aus.
Oscar Kiesswetter hat als Vertreter von SOPHIA bei der IGT den Nachweis erbracht, dass kooperative Unternehmen in Italien eine besondere Fähigkeit entwickelt haben, sich veränderten sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen anzupassen. Es gelingt ihnen immer wieder, ihr Geschäftsmodell im Sinne des sozialen Auftrags neuen Bedürfnissen anzupassen. Das ist den ersten Sozialgenossenschaften gelungen, schon lange bevor der Gesetzgeber dieses neue Modell abgesegnet hat und sie sind im internationalen Vergleich immer noch ein Vorzeigemodell. Das hat sich im Kampf gegen das organisierte Verbrechen wiederholt, wo Genossenschaften zunehmend die Verwaltung von Gütern übernehmen, die der Mafia entrissen worden sind. Und das wird sich in den nächsten Jahren bei den „cooperative di comunità“ wiederholen, dem innovativen Modell von Bürgergenossenschaften, die eine ganze lokale Gemeinschaft in den Mittelpunkt des genossenschaftlichen Wirkens stellen, um strukturschwache, abwanderungsgefährdete Gebiet mit dem Instrument der Selbsthilfe neu zu beleben.
Alle Vorträge bei der IGT haben bestätigt, dass Genossenschaften eine nachhaltige Alternative zur reinen Profiterwirtschaftung sein können. Mit ihrer demokratischen Struktur und dem Verzicht auf Dividendenmaximierung können sie geeignete Lösungen für neue Herausforderungen bieten und als Innovationsmotor mit lokaler Verankerung ein großes Potenzial zur Bewältigung aktueller Problembereiche entwickeln.
Im Schlusswort der IGT heißt es einfach “Die partizipative Wirtschaft hat Zukunft“.